THEMA

"Pop the Nation!"

Das Nationale als Ressource und Argument in Kulturen populärer Unterhaltung und Vergnügung 

6. Tagung der Kommission Kulturen populärer Unterhaltung und Vergnügung (KPUV)
in der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde e.V. (dgv)
in Kooperation mit dem Jungen Kolleg der Bayerischen Akademie der Wissenschaften

19. bis 21. Februar 2020
Bayerische Akademie der Wissenschaften, München
Ludwig-Maximilians-Universität, München

„Deutschland! Deine Liebe ist Fluch und Segen“, riefen Rammstein im Mai 2019 von der Spitze der nationalen Singlecharts. Das zugehörige Video wurde auf Youtube bislang 80 Millionen Mal angeklickt. Im TV erreichen Serien wie Deutschland 1983 (RTL) oder Deutschland-Saga (ZDF) hohe Marktanteile, Jan Böhmermann gibt sich als rappender „Verfassungspatriot“, bei Sportgroßveranstaltungen erliegen Millionen von Fans dem schwarz-rot-goldenen „Schlaaand!“-Fieber, während erfolgreiche Computerspielreihen wie Battlefield die Streitkräfte der „Euro Force“ gegen China ins Feld führen. Die „Wiederentdeckung des Nationalen“ (Götz 2011) als Ressource populärer Identitätspolitiken hat die Unterhaltungs- und Vergnügungskulturen und ihre Medien auf breiter Ebene erfasst. 
Diese Entwicklung korrespondiert mit der zunehmenden politischen Polarisierung gegenwärtiger Gesellschaften und dem Erstarken nationalkonservativer Politiken. So ist aktuell nicht nur eine höhere Sichtbarkeit linken/linksliberalen Protests („Wir sind mehr!“) zu beobachten, sondern auch eine intensive Vereinnahmung der Pop(ulär)kultur durch die Neue Rechte („Nipster“, „IBster“). Besonders in den Ländern des östlichen und südöstlichen Europa sind rechtsnationale, geschichtsrevisionistische, antisemitische, antiziganistische und homophobe Tendenzen längst auch Teil des popkulturellen Mainstreams geworden (Götz/Roth/Spiritova 2017). Hier zählen populärkulturelle Angebote mittlerweile zu den festen Instrumenten einer nationalistischen Politik. Der turbofolk der 1980er und 1990er Jahre, der als „music of the war“ in die Musikgeschichte Jugoslawiens einging, der Massenerfolg der ungarischen Rechtsrock-Band Kárpatiá oder die Allianz zwischen Hip Hop und polnischer Geschichtspolitik illustrieren dabei die hohe Wirkmacht nationaler Bilder, Mythen und Erzählungen in Musik, TV, Kino und (Computer-)Spielen.
Die Veranstaltung widmet sich als Forschungstagung diesem komplexen Schnittfeld von populären Kulturen und Nationalem. Der Blick richtet sich dabei auf die herausragende Rolle der Unterhaltungs- und Vergnügungskulturen im Kontext identitätspolitischer Kontexte. Wir gehen davon aus, dass Kulturen der populären Unterhaltung und Vergnügung in ihrer sinnlich-körperlichen Wahrnehmbarkeit, strategisch-kommerziellen Bedingtheit und oft spektakulären Visualität über ungewöhnlich hohe emotionale Qualitäten verfügen, weswegen gerade hier ein besonders herausragendes politisches Mobilisierungspotential zu vermuten steht (Maase 2019; 2010). 
Die Medien der populären Unterhaltungs- und Vergnügungskulturen verstehen wir mit Aleida Assmann als „weit mehr als die Grundlage für weltweite menschliche Kommunikation. Sie vermitteln auch zwischen Mensch und Welt sowie zwischen Mensch und Geist, bzw. Imagination. Aufgrund ihres konstruktiven Charakters sind sie produktive Instrumente der Welthervorbringung und -gestaltung.“ (Assmann 2008). Über das Argument „Nation“ reproduzieren und ästhetisieren Popmusik, Kino, Fernsehen und (Video)Spiele somit nicht lediglich gesellschaftspolitische Entwicklungen. Sie produzieren über geteilte Wissensbestände und Identifikationsangebote selbst (imaginierte) Zugehörigkeiten. Indem populäre Kulturen so mit dem oft mythisch-vagen und affektiv konturierten Argument des „Nationalen“ Grenzen zwischen dem Eigenem und dem Fremden markieren, strukturieren sie kulturelle Prozesse und Gesellschaften grundlegend, schaffen imaginäre Gemeinschaften (Anderson 1983) und zeigen akute Konflikte an. Die globale Mediascape (Appadurai 1990) der populären Kulturen zeigt sich so zunehmend von nationalen, traditionalen und regionalen Partikularismen geprägt, denen eine Vielzahl divergierender kultureller Bedeutungen zukommt (Trummer 2019; 2017).
Erbeten sind sowohl theoretisch-konzeptuelle als auch empirische Beiträge zu unter anderem folgenden Fragen:


  • Das Nationale als theoretisches Konzept: Welche Konzepte des Nationalen finden sich in Kulturen der populären Unterhaltung und Vergnügung wieder? Handelt es sich, z. B. um ästhetische, emotionale oder mythische Formen? An welche Nationalismuskonzepte lässt sich anknüpfen?
  • Utopien oder Retropien (Bauman 2017): welche kulturellen Leitbilder und gesellschaftlichen Ideale verbinden sich mit dem Argument des Nationalen in den populären Kulturen?
  • Das Nationale als ästhetische Ressource: welche Symbole, visuellen Kulturen, ästhetischen Bricolagen oder Stereotype konstituieren sich im Rückgriff auf das Nationale?
  • Das Nationale als Transformationsreflex: inwieweit ist die Konjunktur des Nationalen in den populären Kulturen im Kontext aktuell laufender Transformationsprozesse zu verstehen? (z.B. „Brexit“, EU-Feindlichkeit, Migrationspolitik, postsozialistische Transformationsprozesse)
  • Nation und Erinnerung: über welche Bedeutung und Erscheinungsformen verfügt die Adaption nationaler Traditionen, Mythen, Erinnerungsorte und –kulturen?
  • Nation als Identitätsmarker: welche kollektiven Selbst- und Fremdbilder artikulieren sich im Argument des Nationalen?
  • Das Nationale geschichtlich: Erscheinungsformen des Nationalen in historischen Populärkulturen?



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